Ich gehöre nicht zu jenen Reisenden, die ihre Route im Voraus auf Streetview abklappern. In der Regel sind meine Vorbereitungen eher dürftig – und das ist keineswegs nur dem Zeitmangel geschuldet, sondern ist auch gewollt: Orte, an denen man nie zuvor gewesen ist, haben das Potenzial, einen zu überraschen, einen zu beeindrucken, manchmal sogar, einen richtig zu ‘erwischen’. Je uninformierter man ist, desto offener ist man für dieses Erleben.
Das Ganze hat natürlich auch eine Kehrseite. Man wird, geht man so unschuldig ins Rennen, unweigerlich das eine oder andere verpassen und ist anfälliger für eigentlich vermeidbare Missgeschicke. Und wenn das bereits für die Reise an sich gesagt werden kann, so gilt es umso mehr für die Reise-Fotographie. Auch hier bin ich nicht sehr akribisch – Ausnahmen bestätigen die Regel! – und bin daher nicht immer am richtigen Ort, und das auch noch meist zur falschen Zeit.
Ein drolliges Beispiel des Scheiterns an dieser halbinformierten Vorgehensweise, die dem Prinzip «sometimes you win, sometimes you lose» unterliegt, widerfuhr mir im Oktober 2018 in Bristol, im Südwesten von England. Ich verbrachte ein paar Tage bei Verwandten im nahegelegenen Bath, wo mir eine wunderbar herbstliche Aufnahme der berühmten Pulteney Bridge gelang. An zwei Tagen fuhr ich jeweils von dort aus nach Bristol, um mir auch diese Stadt anzuschauen, die ebenfalls eine Brücke – eine wesentlich grössere allerdings, die Clifton Suspension Bridge – ihr Wahrzeichen nennt.
Nach einem Blick auf die Stadtkarte hatte ich eine recht klare Vorstellung davon, von welchem Standort aus die klassischen Bilder dieser Brücke, mit den Lichtern der Stadt im Hintergrund, gemacht werden. Ich dachte mir, das wäre doch was für ein Blaue-Stunde-Foto, schaute auch tatsächlich kurz nach, wie die Blaue Stunde in Bristol an diesem Tag zeitlich zu liegen kam, und schleppte dann zusätzlich zur Kamera und zwei Objektiven den ganzen Tag lang das Stativ mit mir herum, um es dann gegen Abend am Rand des Parks jenseits Brücke aufzustellen.
Der Ort war der richtige. Die Zeit stimmte auch. Aber da war kein Wasser im Fluss! Der River Avon war nichts weiter als ein spärliches, trübes Rinnsal, das kraftlos und müde im breiten Flussbett unterging. Was hatte das zu bedeuten? Ich war völlig ahnungslos und dachte zunächst, man hätte den Fluss wohl aufgestaut, und verfluchte die Behörden, die das verbrochen hatten.
Der Anblick der grossartigen Brücke, die Aussicht von meinem erhöhten Standpunkt, vor dem der Fels fast senkrecht abfiel, das Mitverfolgen der Dämmerung, wie bei Anbruch der Dunkelheit die Lichter angingen, die Verfärbungen des Himmels – das alles versöhnte mich natürlich schnell mit meinem Schicksal. Und ich liess mir natürlich auch das Fotographieren nicht nehmen. Das Ergebnis ist diesem Bericht vorangestellt und zeichnet sich durch einen eklatanten Wassermangel aus … Ich könnte in die Tischplatte beissen, wenn ich mir vorstelle, wie schön dieses Bild mit einem randvollen Flussbett geworden wäre.
Erst der Taxifahrer, der mich später am Abend in Bath vom Bahnhof zurück zum Haus meiner Verwandten fuhr, klärte mich lachend darüber auf, dass es halt Ebbe gewesen sei, «low tide». Bristol liegt nahe am Meer, und es ist nicht so sehr der River Avon, sondern es sind die Gezeiten, die den Wasserstand unter der Brücke bestimmen.
Das hätte man natürlich wissen können. jz