Der Helene-Weigel-Platz im ehemals berüchtigten Stadtteil Marzahn ist selbst in der vielgestaltigen Stadtlandschaft Berlins ein besonderer Ort mit einer ganz eigenen Atmosphäre. Hier steht von spärlicher Begrünung umgeben, zwischen Plattenbauten und einer Einkaufspassage – und vor allem: vor der Fassade des alten Rathauses von Marzahn die Bronzefigur „Der Sportler“ aus der Figurengruppe des Brunnens der Generationen (1990) von Rolf Biebl. Sie hat es mir besonders angetan: Es handelt sich um die Gestalt eines Motorradfahrers, der seine Maschine abgestellt hat und nun in rennender Bewegung eingefroren ist.
Die Figur ist nicht besonders gross, je nach Blickwinkel kann sie zwischen den prägnanten Gebäuden der Umgebung etwas verloren wirken. Aber sie ermöglicht es doch, den Platz auf unterschiedliche Weise zu verstehen.
Das Bild „Die Ankunft“ zeigt nur die Helm- und Schulterpartie der Figur. Es lässt etwas von der Dynamik der Bewegung erahnen – dass die Gestalt gerade rennt, wird jedoch nicht bewusst. Dieses Bild blendet die Umwelt komplett aus und verbeugt sich vor der künstlerischen Durchgestaltung dieses Werks. Dabei profitiert es zusätzlich von den Spuren der Zeit, die der dunklen Erscheinung einige kleine Farbtupfer hinzugefügt haben, sowie von den besonderen Lichtverhältnissen am Tag der Aufnahme, als die Stadt unter einer dünnen Wolkendecke lag, die zwar viel Licht hindurchliess, aber keine direkte Sonnenbestrahlung. So zeigt sich die Gestalt des Sportlers von diffusem Licht umflossen und die Struktur ihrer Oberfläche lässt sich in allen Details wahrnehmen.
Hand und Fuss
„Hand und Fuss“ isoliert zwei andere Teile der Figur für den Betrachter, der wahre Star des Bildes ist aber – wenn auch in die Unschärfe gesetzt – die spektakuläre Fassade des alten Rathauses von Marzahn. Kaum war das Gebäude 1988 fertiggestellt, kam die Wende, die Geschichte rannte an der Fassade vorbei und bald war die ursprüngliche Bestimmung dieser DDR-Architektur hinfällig geworden.
Kein Entrinnen
Die rennende Haltung des „Sportlers“ wird auch vom Bild „Kein Entrinnen“ aufgegriffen: Indem die Figur hier von hinten gesehen wird, scheint es sich plötzlich um eine Fluchtbewegung zu handeln. Blickwinkel und Bildausschnitt sind allerdings so gewählt, dass kein Fluchtweg sichtbar ist, die Bewegung scheint zwangsläufig in einer Ecke enden zu müssen, die von zwei Gebäudeteilen eines grossen Plattenbaus gebildet wird. Dem durchorganisierten Leben ist nicht zu entkommen.
Invasion
Ganz anders der Eindruck, den das Bild „Invasion“ vermittelt. Gross, fremd, futuristisch und bedrohlich wirkt die Figur hier, wie ein Alien, ein Eroberer aus einer fernen Welt, dem die Erdenbewohner – seriell übereinandergestapelt in ihren dürftigen Wohnhochhäusern – gewisslich nichts werden entgegensetzen können.
Eine Gemeinsamkeit der besprochenen Bilder ist, dass sie die zahlreichen wirklichen Menschen, die in dieser Zeit den Platz überquerten oder um ihn herum sassen, ausblenden. Dies soll dazu beitragen, die Figur im Auge des Betrachters zum Leben zu erwecken und sie nicht als starres Kunstwerk inmitten eines lebendigen Treibens darzustellen.
Die vier Schwarzweissbilder, die diesen Beitrag abschliessen, zeigen – ohne ästhetischen Ehrgeiz – etwas mehr von der Einbettung der Figur in die Anlage des Helene-Weigel-Platzes. jz