Fotographie war die grosse Leidenschaft von Herbert Weddigen. Und Herbert Weddigen war mein Grossvater. Als er 2002 im hohen Alter von 85 Jahren verstarb, hinterliess er an materiellen Dingen vor allem Kameras und Objektive. Ein paar davon gingen an mich, mit seiner Nikon F90X lernte ich die Spiegelreflex-Fotographie überhaupt erst richtig kennen.
Abendschiff. Zürich, 01.01.2017.
Nun, vierzehn Jahre später, ist ein weiteres Stück aus seiner Hinterlassenschaft auf mich gekommen: Eine Nikon F5! Diese Kamera gilt bei vielen als die Königin der analogen Spiegelreflexkameras, als letzte ihrer Art noch konzipiert, bevor die digitale Fotographie auch bei den Profis ihren Siegeszug begann.
Ganymed. Zürich, 01.01.2017.
Zwischen Weihnachten und Silvester 2016 kam ich endlich dazu, die Kamera genauer anzuschauen, sie einmal gründlich zu reinigen und zu versuchen, ihr nach fast anderthalb Jahrzehnten des Dornröschenschlafs neues Leben – in Form von acht Mignonzellen! – einzuhauchen. Hatte ich während des Reinigens noch das Gefühl, ich würde ein Dinosaurier-Skelett entstauben, änderte sich meine Wahrnehmung in dem Moment, als die beiden LCD-Screens das erste Mal aufleuchteten und das erste Klacken eines Spiegelschlags erklang. Mit einem Mal wirkte das Gerät, als sei es fabrikneu, völlig unverbraucht und tatendurstig …
Von diesem Eindruck inspiriert und um mich davon zu überzeugen, dass auch Verschluss und Belichtungsmesser immer noch funktionsfähig waren, legte ich am ersten Januar des neuen Jahres einen Kodak 200er Farbfilm mit 36 Bildern ein und ging mit der F5 auf einen kleinen Winterspaziergang der ganz einfach vom Zürcher Bürkliplatz dem See entlang zum Sechseläutenplatz und dann ein paar Strassenzüge bergauf- und stadteinwärts führte.
My first Baby. Zürich, 01.01.2017.
En guete! Zürich, 01.01.2017.
Die Bilder, mit denen dieser Beitrag illustriert ist, stammen alle von diesem Spaziergang und von diesem einen Film. Als ich die Patrone zum Foto-Geschäft brachte, lernte ich den neuen Standard-Workflow kennen: An das Entwickeln des Films schliesst sich gleich das Scannen der Negative und die Umwandlung der Farben in den digitalen Dateien an. Was man beim Abholen erhält, sind die entwickelten Negative und eine CD mit fertigen JPGs, die die Probe-Abzüge früherer Zeiten ersetzen und zugleich bereit sind für die weitere Verwendung in der digitalen Welt. Praktisch.
Die Bilddateien hatten zwar nur 6.3 Megapixel, aber das ist zumindest genug für die Publikation im Internet, wie man hier sieht. Ich werde aber noch in Erfahrung bringen müssen, ob da noch mehr geht in Sachen Auflösung, wahrscheinlich ist die sinnvolle Scan-Auflösung auch abhängig von Qualität und Art des verwendeten Films.
Back to back. Zürich, 01.01.2017.
Wer tanzt hier aus der Reihe? Zürich, 01.01.2017.
Zu zweit auf weiter Flur. Zürich, 01.01.2017.
Das enorme Gewicht der F5 störte mich keine Sekunde. Gewiss ist es kein Gerät, das man mal eben so einsteckt, um für den Fall der Fälle eine Kamera dabeizuhaben; sobald man aber unterwegs ist, um zu fotographieren, und diese Tätigkeit im Mittelpunkt steht, wird man es geniessen, dieses nahezu perfekte Gehäuse in den Händen zu halten. Das Gewicht gibt einem sogar ein besonderes Vertrauen, auch bei längeren Belichtungszeiten verwacklungsfrei fotographieren zu können. Und es ist wirklich so, man kann.
Passgeber. Zürich, 01.01.2017.
Als Objektiv hatte ich ein gewöhnliches AF NIKKOR 28–105mm 1:3.5–4.5 D aufgesetzt, es mag etwa so alt sein wie die Kamera selbst. Das Fotographieren ohne Bildschirm auf der Kamerarückseite hat nach kurzer Zeit durchaus etwas Befreiendes, zumindest, wenn man sich Fehler leisten kann, und keine perfekten Ergebnisse abliefern muss. Der Belichtungsmesser der F5 scheint aber sehr gut zu sein. Fast jedes Bild sieht so aus, wie ich mir das vorgestellt hatte.
Kunst hinter Glas. Zürich, 01.01.2017.
Die begrenzte Anzahl Bilder auf einem Film gibt dem Druck auf den Auslöser ein ganz anderes Gewicht. Insbesondere, wenn der Bildzähler die 30er-Marke überschreitet, erscheint jedes noch verbleibende Bild wie eine kostbare Gelegenheit, die man auf keinen Fall vergeuden darf. Man erinnert sich an die Märchenfee, bei der man genau drei Wünsche frei hat – jetzt aber bloss nichts falsch machen!
Die Bilder, die ich hier zeige, sind gewiss keine Meisterwerke, sie können aber vielleicht immerhin demonstrieren, dass analoge Kleinbild-Fotos einen ganz anderen 'Appeal' haben als die beeindruckenden Dateien, wie sie eine moderne DSLR abliefert. Man muss der analogen Fotographie gewiss nicht nachtrauern – es gilt für sie jedoch wie für jede von der Zeit überholte Kunst oder Technik: Sie hat ihren ganz eigenen Reiz und damit auch ihr eigenes Recht.
Ich bin schon gespannt darauf, demnächst einen Schwarzweiss-Film auszuprobieren … jz
Schräges Gefährt. Zürich, 01.01.2017.